„Indianersiedlung“ Originell, eigenwillig, naturverbunden

Ein Bericht von Ulrike Süsser, 22.10.2011 (Kölner Stadt-Anzeiger):

Zollstock – Es ein Dorf in der Stadt. Und was für eins. Unkonventionell, mit viel Natur und charmant. Ein Hauch von Sozialromantik weht durch die Siedlung am Kalscheurer Weg, wo alte, bunte Wohnwagen in schöner Eintracht neben neu hergerichteten Häusern stehen. Einige Ursprungshäuschen aus den späten 1920er Jahren präsentieren sich fein und gepflegt, andere Unterkünfte sind inmitten des wuchernden Gebüschs kaum auszumachen und ähneln Baracken. Ein Baumhaus mit Piratenfahne ragt in die Luft, woanders bewachen brave Plastikzwerge den Garten nebst Teich.

Originell und eigenwillig gestaltet ist jedes Gebäude, jeder Garten. Einen Pferdestall gibt es mitten im Dorf und eine Koppel. Die wird zum Festplatz, wenn es etwas zu feiern gibt. Und das kommt nicht selten vor. Das zehnjährige Bestehen der Siedlergenossenschaft war der jüngste Anlass für ein Fest. Sogar Oberbürgermeister Jürgen Roters gratulierte schriftlich. In der „Indianersiedlung“ leben 350 Menschen auf 120 Grundstücken. Manchmal sind es drei Generationen, die sich eine Parzelle teilen. Unterschiedlich groß sind diese – zwischen 100 und 2.500 Quadratmeter.

Seit 38 Jahren fühlt sich Heike Brombach-Schmitz wohl hier. „Meine Eltern, Tanten, Großeltern haben alle hier gewohnt“, sagt sie. Besonders für die Kinder sei das hier ein Paradies, überall Natur. Die Jungen und Mädchen wüssten genau, welche Beeren sie essen dürften und welche nicht. „Der Walnussbaum ist so alt wie mein Sohn, nämlich 31 Jahre“, sagt Georg Brombach, der Ehemann, der gleichzeitig der Vorsitzende der Genossenschaft ist und der „Strippenzieher“ und „Kümmerer“.

Maßgeblich ist er am Erhalt der Siedlung beteiligt. Es sei schon ein ordentliches Stück Arbeit gewesen, die Entwässerung zu regeln, die Beleuchtung der Straßen und die geforderten Rettungswege einzurichten, sagt der 60-Jährige, der sich im Jahr 1974 als „Hippie“ in der Siedlung in einer Kommune ansiedelte. „Wir trafen hier auf kölsches Subproletariat“, meint er rückblickend. Aber man habe sich aneinander gewöhnt. Einige der ehemaligen Kommunarden lebten auch noch hier, der Dietrich zum Beispiel, der mit seinem Traktor durch die Siedlung brettert.

Einst eine wilde Siedlung

lrike Bieler ist ein Neuling in der Siedlung. Erst seit zwei Jahren ist sie Genossin mit Eigenheim. Das Schöne sei, dass man hier mit den Leuten schnell ins Gespräch komme, meint sie, während sie die Mülltonne quer durch die Siedlung bis zu ihrem Haus zieht. Der „Nachteil“ sei höchstens, dass das Holen der Tonne manchmal ganz schön lange dauere, meint sich fröhlich. Liliane Szczesny steht vor ihrem Haus, das derzeit komplett saniert und auf den neuesten energetischen Standard gebracht wird. Natürlich packt sie selbst mit an wie auch die ganze fünfköpfige Familie. Auch sie schätzt das ungezwungene Miteinander in der Siedlung, wo fast jeder jeden kennt. In der „Casa Engel“ wohnt Engelbert Hommes, der Siedlungshausmeister. Viel zu tun habe er, vor allem die Abwasserpumpen seien ständig verstopft, sagt er. Stolz ist er auf die neueste Errungenschaft, den motorisierten Schneeräumer. Den braucht er im Moment noch nicht, „aber der nächste Winter kommt bestimmt“. Auf ihren „Engel“, so der Spitzname, könnten sie nicht verzichten, meint Georg Brombach.

Als sich im September 2001 die Siedlergenossenschaft e. G. gründete, wurden die Weichen neu gestellt. Zuvor war das Quartier eine wilde Siedlung – eine Indianersiedlung, wie sie sich selbst nannte und auch immer noch gern nennt. Ohne Baurecht waren vor allem in den 70er Jahren immer mehr zusammengezimmerte Unterkünfte entstanden. Hippies und Kommunarden siedelten sich an. Der Stadt war diese Entwicklung ein Dorn im Auge und es drohte der Abbruch. Der benachbarte Friedhof sollte stattdessen erweitert werden. Das aber wollten die Bewohner nicht riskieren. Ehemalige Notunterkünftler und neu angesiedelte Hippies bündelten ihre Kräfte und machten nach Jahren des Kampfes die Siedlung legal. Seit zehn Jahren verwalten sich die Siedler nun selbst. Sie sind autark und der Vorstand ist stolz auf das schicke Bürogebäude am Kalscheurer Weg, Weg V1, wo der ehemalige Oberhippie Georg Brombach zusammen mit den Kollegen Ralf Leppin (50) und Peter Empt (40) die Verwaltungsgeschäfte erledigt.

Der Kaufmann Georg Brombach und der Verlagskaufmann Ralf Leppin gehörten zu den ersten, die vor zehn Jahren ihren Genossenschaftsanteil in Höhe von 5.150 Euro einzahlten. Zur ersten Genossenschaftsriege zählt auch der Journalist und Buchautor Hans Conrad Zander. Er ist der Erfinder des Begriffs „Indianersiedlung“. Bei seinen Reisen durch Nordamerika war er beeindruckt von den Indianer-Reservaten. Die Siedlung am Kalscheurer Weg empfand er als ähnlich eigenwillig und naturverbunden und prägte so den Begriff, der sich seitdem hartnäckig hält. Mit dem Bildband „Minnesota in Köln“ mit Fotos von Carl Brunn hat er die Indianersiedlung in Köln kulturell verankert.

Hier der Link zum Artikel beim Kölner Stadt-Anzeiger